Stefans persönlicher Bücherschrank
GELESEN, DURCHDACHT UND REZENSIERT:
Gefühle lesen. Wie Sie Emotionen erkennen und richtig interpretieren.
22,99 €
Paul Ekman hat ein System entwickelt, mithilfe dessen er mit einer Sicherheit von über 90 Prozent voraussagen kann, ob Ehepartner nach 15 Jahren noch zusammen sind. Und das, indem er sie eine viertel Stunde lang beobachtet. Diese Vorhersagequalität ist wissenschaftlich nachgewiesen und sie ist gigantisch. Nun geht’s hier nicht um Eheberatung, sondern um Unternehmensführung. Und da wäre eine Methodik, mit der man mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent voraussagen könnte, ob ein Mitarbeiter nach 15 Jahren noch im Unternehmen ist, Gold wert.
Wie funktioniert das? Nun, durch das Lesen von Emotionen in Gesichtern. Ekmann hat viele Jahre lang mit seinen Kollegen geübt, Grimassen zu schneiden. Genauer gesagt, jeden einzelnen Muskel einzeln anzusprechen und damit jeden beliebigen Gesichtsausdruck zu erzeugen. Das haben sie katalogisiert und systematisiert. Heraus kam ein Tool namens FACS (Facial Action Coding System). Mithilfe dieses FACS und einigen interkulturellen Forschungen konnten sie allgemeine Gesichtsbewegungen bestimmten Emotionen zuordnen. Und hierbei besonders spannend: Sie haben auch Mikrobewegungen von weniger als einer fünftel Sekunde Dauer untersucht. Darin kommen die Emotionen, die man eigentlich vertuschen will, zum Ausdruck.
Im Buch lernt man nun, auf welche Elemente in der Mimik man achten muss, um z.B. Emotionen wie Angst, Verachtung usw. zu identifizieren. Wie ein Test am Ende des Buches zeigt, bekommt man im Alltag im Durschnitt höschstens ein Drittel davon mit. Und die Mikrobewegungen bleiben fast immer unter der Wahrnehmungsschwelle. Mit der Systematik des Buches kann man auch diese erkennen.
Die Vorhersage für die Ehe in 15 Jahren ist dann ganz einfach: Findet sich bei einem der beiden in den Mikrobewegungen Anzeichen von Verachtung, dann wird das nicht 15 Jahre funktionieren. Sonst schon.
So weit, so gut. Was lässt sich jetzt auf Mitarbeiter übertragen. Meiner Meinung nach kann man davon für ein Einstellungsgespräch sehr wenig gebrauchen. Die meisten Emotionen müssen ja noch wachsen. Aber nach einiger Zeit, z.B. am Ende der Probezeit, im Gespräch zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter kann man sehr wohl nach einem solchen Analyseverfahren Prognosen treffen. Es müsste eben eine dritte Person beim Gespräch anwesend sein, die genau darauf achtet. Dies sind jedoch erst mal nur Hypothesen, die sicher noch irgendwann wissenschaftlich untersucht werden.
Problematisch am Buch finde ich hingegen die psychoanalytische geprägte Einteilung der Emotionen, die eine klare Herkunft aus der Beschreibung von Krankheitsbildern erkennen lässt: 90 Prozent des Buches handeln von Angst, Trauer, Verzweiflung, Wut, Verachtung usw. Und ganz am Ende kommt das Alibi-Feigenblatt „positive Emotionen“, in das alles andere einsortiert wird.
Und das ist eigentlich das Spannendere. Natürlich wären in einem Personalgespräch Anzeichen von Verachtung auf einer der beiden Seiten ein K.O.-Kriterium. Aber mindestens ebensowichtig ist, Interesse, Freude, Neugier, Begeisterung usw. erkennen zu können. Und dies im Zweifel von vorgetäuschten Gefühlen unterscheiden zu können. Dazu wird man im Buch nur ein paar Ideen und Ansätze finden.
Aber trotz dieser Einschränkungen: Wenn man weiß, dass praktisch alle menschlichen Entscheidungen emotional getroffen werden, dann ist es von Vorteil, die Emotionen besser erkennen zu lernen. Und solange es nichts besseres gibt, muss man eben auch mit einer problematischen Kategorisierung der Emotionen zurande kommen.
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