Stefans persönlicher Bücherschrank
GELESEN, DURCHDACHT UND REZENSIERT:
Überflieger. Warum manche Menschen erfolgreich sind – Und andere nicht.
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Gladwell hat eine geniale Schreibe. Er schafft es, seine Inhalte in Form eines Krimis zu verkaufen. Da wird zuerst der Mord (das Phänomen) vorgestellt, dann erzählt er Geschichten, die den Leser nach und nach auf die Fährte bringen und dann kommt die Auflösung, auf die alle gewartet und die manche Leser schon geahnt haben. Psychologisch kaum besser machbar.
Inhaltlich verabschiedet sich Gladwell von der Hypothese, dass jeder seines Glückes Schmied sei. Dass Erfolg nur von Talent und eigener Leistung abhängen würden. Um seine „neue“ Hypothese, dass Erfolg vor allem von den gegebenen Chancen abhängen würde, zu stützen, führt er uns kreuz und quer durch die Weltgeschichte.
So führt er uns vor Augen, dass kanadische Profi-Eishockey-Spieler meist in den Monaten Januar bis März Geburtstag haben. Oder dass 14 der 75 reichsten Menschen, die jemals auf dieser Erde gelebt haben, um 1835 in den USA geboren wurden. Oder dass Bill Gates, Paul Allen, Steve Ballmer, Stev Jobs, Eric Schmidt (Google), Scott McNealy (Sun) usw. alle um das Jahr 1955 geboren wurden.
Seine Erklärung für diese verblüffenden Phänomene ist einfach: Der Stichtag bei den Eishockeyspielern ist der 1. Januar. Bei Kindern von 6 oder 7 Jahren ist es entscheidend, ob man 8 oder 10 Monate älter ist. Diese Kinder wirken einfach besser. Mit dem Ergebnis, dass sie dann auch mehr gefördert werden und eher in Auswahl-Ligen kommen. Und dort wiederum haben sie, mehr zu üben.
Dabei bezieht er sich auf die (meiner Meinung nach viel zu wenig zur Kenntnis genommenen) Ergebnisse von K. Anders Ericsson, der nachwies, dass Talent keinerlei Aussagekraft für zukünftigen Erfolg hat – entscheidend ist allein die Anzahl der Übungsstunden. Und hier scheint eine „magische“ Schwelle von 10.000 Stunden zu existieren. Ericsson untersuchte zum Beispiel Geiger der berliner HdK. Diese wurden in 3 Gruppen eingeteilt: Die zukünftigen Stars, die guten Violinisten und die zukünftigen Lehrer. Der einzig relevante Unterschied zwischen diesen 3 Gruppen war: die erste Gruppe hatte 10.000 Stunden geübt, die zweite Gruppe etwa 8.000 Stunden, die dritte Gruppe etwa 4.000 Stunden. Es gab in der ersten Gruppe nicht einen einzigen mit einem „Naturtalent“, der weniger als 10.000 Stunden geübt hätte. Und es gab in der dritten Gruppe nicht einen einzigen, der mehr als 10.000 Stunden gerackert hätte und trotzdem schlecht geblieben war.
Worauf Gladwell nun abzielt, ist, dass es die Rahmenbedingungen sind, die es einem erlauben, 10.000 Stunden zu üben. Bill Gates hatte seit 1968 Computerzugang und deshalb den anderen Jugendlichen seines Alters etwas voraus. Oberschichtskinder werden auch in den Schulferien angehalten, etwas zu lernen und die statistisch feststellbaren Lernunterschiede zwischen Unterschicht und Oberschicht sind nicht in der Schulzeit zu verorten, sondern in der Ferienzeit. Usw.
An weiteren Beispielen zeigt Gladwell auch den Einfluss der Kultur und warum Chinesen besser in Mathematik sind und allgemein bessere Schulergebnisse haben: Das chinesische Zahlensystem ist logischer aufgebaut und sie arbeiten kulturell bedingt (Reisanbau ist im Vergleich zu Weizenanbau ganzjährig extrem arbeitsintensiv) mehr. Damit kommen sie wesentlich früher auf 10.000 Stunden Übung.
Der Punkt ist nun: So neu, wie Gladwell behauptet, ist das alles nicht. Die Chancen, die sich in bestimmten Bereichen bieten, spielen natürlich eine Rolle. Es gibt eine ganz simple Geschichte, die jeder BWL-Student im ersten Semester lernt: SWOT. Entscheidend ist hier das S und das O: Strengths und Oppertunities. Stärken und Chancen. Nur die größten Dummköpfe leugnen den Einfluss von Chancen. ABER: Ab einem gewissen Alter kann man sich die Chancen ganz bewusst suchen, die einem mit gegebenen Stärken die größten Möglichkeiten bieten. Das nennt man Strategie.
Und selbst beim Vater der meisten Erfolgsbücher: Napoleon Hills: „Denke nach und werde reich“, wird vom Braintrust als einem der wichtigsten Erfolgsfaktoren gesprochen: Man muss sich das soziale Umfeld, das einen Erfolg erlaubt, eben selbst schaffen.
Gegen Ende des Buchs erzählt Gladwell von einer staatlichen Schule in der Bronx, die etwa 60 Prozent mehr Unterrichtszeit bietet als normale Schulen. Die Kinder stehen vor 6 morgens auf und gehen nach 11 abends ins Bett. Dazwischen lernen sie. Obwohl die Schüler aus benachteiligten Familien stammen, liegen sie, wenn sie die Schule verlassen, besonders in Mathematik deutlich über dem Durchschnitt. So weit so gut. Er hat damit bewiesen, was er beweisen wollte: Die Rahmenbedingungen machen den Erfolg.
ABER: Ganz am Rande erzählt er, wie eine Schülerin, die neu an der Schule war, versuchte, ihre Freundin zu überzeugen, auch auf diese Schule zu gehen. Die Antwort war: „Ach nö, da muss ich ja so viel lernen.“ Kann man nur sagen: Selbst schuld!
Zusammen gefasst: Indem er sich auf Ericsson bezieht, macht Gladwell wider Willen deutlich, dass der eigene Einsatz doch eine ganz wesentliche Rolle spielt. Zudem fehlt mir der wichtigste Aspekt: Seine Menschen und Beispiele wirken alle merkwürdig passiv. Da gab es Chancen und die Gewinner gerieten da durch Zufall hinein. Ein Gegenbeispiel ist Arnold Schwarzenegger. Der ist einfach da hin gegangen, wo die Chancen für ihn größer waren als in Österreich: Nach Hollywood.
Was Gladwell hier anbietet, ist inhaltlich im Prinzip nicht viel anderes, als Mainstream-Gedankengut auf oppositionell und reißerisch getrimmt. George Bernhard Shaw hat dies einmal so charakterisiert: „Man gibt immer den Verhältnissen die Schuld für das, was man ist. Ich glaube nicht an die Verhältnisse. Diejenigen, die in der Welt vorankommen, gehen hin und suchen sich die Verhältnisse, die sie wollen, und wenn sie sie nicht finden können, schaffen sie sie selbst.“ Gladwell gibt den Verhältnissen die Schuld – das ist uralt.
Allerdings untermalt er das mit einigen spannenden Beispielen, die einem erlauben, Chancen noch differenzierter zu suchen und zu finden. Und darin liegt meiner Meinung nach der eigentliche Nutzen dieses Buchs.
1 Kommentare
Warum wird denn“auf Schulen,an der Uni,in Seminaren etc“soviel Theorie präsentiert????????
Probieren geht über Studieren oder ACTION LEARNING wäre ein besserer Weg zu Spitzenleistungen!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
(aber leider in Deutschland unpopulär)