Stefans persönlicher Bücherschrank
GELESEN, DURCHDACHT UND REZENSIERT:
Vom Sinn des Lebens. Wege statt Werke.
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Leider führt der Titel etwas in die Irre. Um den Sinn des Lebens geht es nicht – oder zumindest nur am Rand. Es handelt sich auch nicht um ein durchgängiges Buch, sondern um eine Aufsatzsammlung. Viele der Aufsätze des Neurowissenschaftlers Spitzer sind jedoch sehr, sehr interessant.
Wie schon in mehreren meiner Rezensionen geschrieben, kommt man als Unternehmer nicht umhin, die Erkenntnisse der Neurowissenschaftler ernst zu nehmen und sich damit zu beschäftigen – ja, ich halte es derzeit für das wichtigste Thema überhaupt. Warum? Weil die Erkenntnisse der Neurowissenschaftler in vielen Bereichen ähnliche Auswirkungen haben werden wie die Entdeckung, dass die Erde eine Kugel ist.
Diese Erkenntnisse verändern das Bild, das wir vom Menschen haben, radikal. Das betrifft unsere Kunden, das betrifft unsere Mitarbeiter, das betrifft uns selbst. Und das heißt: Es betrifft die Art und Weise, wie wir werben und verkaufen, es betrifft die Art der Führung und es betrifft das Selbstmanagement bis hin zur Frage, warum wir das alles tun.
Spitzer bietet nun im vorliegenden Buch keine einheitliche Antwort auf diese Fragen – ich denke, diese gibt es gegenwärtig auch nicht. Er bietet jedoch in vielen Bereichen interessante Forschungsergebnisse.
Zum Beispiel, dass der menschliche Wille ein beschränkte Ressource ist. Und wenn jemand bei einer Aufgabe seinen Willen verausgabt hat, ist er bei der nachfolgenden Aufgabe, die Willenseinsatz erfordert, schlechter. Das bietet eine gute Erklärung, warum Menschen, die mit Rauchen aufhören, unmittelbar nach anstrengenden Situationen wieder anfangen – der Wille ist einfach weg. Oder eine Erklärung dafür, dass Zeitmanagementsysteme oft abends zerfasern.
Oder dass man bei einfachen Entscheidungen bewusst nachdenken, bei komplexen jedoch die Aufgabe dem Unterbewusstsein überlassen sollte. Das ist zwar erst mal kontraintuitiv, aber statistisch an vielen Fällen untersucht. Dabei ist interessanterweise nicht nur die Entscheidung oft besser, sondern wir sind auch glücklicher mit der komplexen Entscheidung, wenn sie intuitiv getroffen wurde.
Oder dass Entscheidungen zum Beispiel über die Qualität von Musikstücken (oder Produkten allgemein) umso unvorhersehbarer werden, je stärker die Konsumenten miteinander interagieren. Verlässt sich der Einzelne auf sein Urteil, verlässt sich die Gruppe auf das Urteil der anderen (und ist dann viel öfter verlassen). Das hieße im Extrem für den Verkauf, sich viel stärker auf die Meinungsmacher der Gruppen zu konzentrieren als auf die Qualität des Produkts.
Und so lassen sich viele interessante Erkenntnisse finden. Auch die, die sich schon länger für’s Thema interessieren, finden in den Aufsätzen viel Neues und Erhellendes. Natürlich sind nicht alle Aufsätze für Unternehmer interessant. Wie man Psychotherapie mit Medikamenten unterstützt dürfte wohl die wenigsten interessieren, aber etwa zwei Drittel der Beiträge sind sehr, sehr lohnenswert.
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