
Die Welt der Managementliteratur ist voll von Konzepten, die sich an dem alten Konzept „Management by objectives“, also Führung mit Zielen orientieren. Da das ganz offensichtliche Mängel hat (dazu gleich mehr), gibt es vor allem aus dem „Beyond Budgeting“-Umfeld noch das Konzept „Führung mit flexiblen Zielen“. Die Welt der Menschen mit Führungsverantwortung hingegen ist in der Praxis voll von Konzepten wie Führung durch Aufgaben („Man muss jedem haarklein erklären, was er zu tun hat“) bis hin zu Führung durch Zwang („wenn er jetzt nicht zackig voran macht, dann sucht er sich besser mal einen neuen Job“). Auch diese Konzepte haben ganz offensichtlich ihre Grenzen.
Vier Führungsarten
Ich möchte insgesamt vier verschiedene Führungsarten unterscheiden.
- Führung durch Zwang: In früheren Jahrhunderten und Jahrtausenden die Methode der Wahl für alle Großprojekte (Pyramiden, Bewässerungsanlagen, etc.). Heute die Fallback-Position, wenn der Führende glaubt, dass alle anderen Methoden nicht mehr funktionieren und/oder etwas übergeordnetes Ganzes unter hohem Zeitdruck auf dem Spiel steht. Wenn eine Firma z.B. eine Woche von der Insolvenz entfernt ist, dann müssen bestimmte Dinge einfach sofort geschehen. Es bleibt keine Zeit für Diskussion – und selbst, falls diese Zeit da wäre, wäre eine Diskussion oft kontraproduktiv, weil sie meist zu verwascheneren Ergebnissen führt, in einer solchen Situation aber klare und scharfe Entscheidungen anstehen. (Ähnliches geschieht z.B. auch gerade in der Politik: Durch die diversen „Rettungsschirme“ wird jeder de facto gezwungen, mit einem Teil seiner zukünftigen Arbeitsleistung zu haften.)
Die Mängel von Führung durch Zwang sind natürlich offensichtlich. Erstens wird die Aufgabe nicht mehr ausgeführt, sobald sich der Zwingende umdreht – der Führende hat also keine freie Minute mehr. Zweitens wird, solange er zuschaut, nur das Notwendigste gemacht. Und drittens nimmt die Wut und der Ärger der Gezwungenen zu und wird sich irgendwann einen Weg bahnen. Viertens schließlich wird mit jedem Mal, wenn man diese Methode nutzt, die Anwendung der anderen Führungsarten schwerer, weil die Kooperationsbereitschaft sinkt. Was letztlich mit ein Grund dafür ist, dass bei schnellen und heftigen Turnarounds in recht kurzer Zeit ein Großteil des Personals ausgetauscht werden muss. - Führung durch Aufgaben: Das ist die Standardart der Führung in Kleinstunternehmen und bei Selbständigen. Die Buchhaltung ist zu machen: „Mach mal die Buchhaltung“. Ein Kunde kommt: „Mach mal ein Angebot“. Die Betriebsprüfung kommt: „Such mir mal die Ordner zusammen.“ Der Deal ist: Geld und Sicherheit gegen Erfüllung der Aufgaben. Auch diese Art der Führung hat ihre Berechtigung: Wenn jemand ganz neu ist und die Aufgaben noch nicht kennt, kann er so an die Aufgaben herangeführt werden. Und, in jeder Firma tauchen immer wieder Aufgaben auf, die so selten sind, dass niemand fest dafür verantwortlich ist, die aber gleichwohl gemacht werden müssen.
Der Haken dieser Art der Führung ist, dass es in aller Regel keine innere Beteiligung gibt. Der Geführte macht etwas, weil es ihm gesagt wurde, es ein Hierarchieverhältnis gibt und er etwas Anderes dafür bekommt, was ihm wichtig ist (Geld und Sicherheit). Meist versucht der Geführte in diesem Handel möglichst wenig Leistung für möglichst viel Bedürfnisbefriedigung zu erbringen – das ist das klassische Modell der Gewerkschaften. Letztlich produziert man auf diese Art Zombies, die an ein Leben nach dem Tod glauben, aber eigentlich schon tot sind.
Eine Ausnahme von dieser Regel gilt nur in den seltenen Fällen, in denen dem Mitarbeiter die hinter der Aufgabe stehende Tätigkeit Spaß macht. (entsprechend steht auch dieses Führungsmodell hinter den ganzen Forderungen, doch gefälligst Mitarbeiter gemäß ihrer Fähigkeiten und Vorlieben einzusetzen).
Der Haken für den Führenden: Bei jeder neuen Aufgabe muss er die Aufgabe vordenken und nachher kontrollieren. Da die meisten dieser Aufgaben eher kleinteilig sind, verliert sich der Führende nun im Mikro-Management. Auch hier ist die Zahl der freien Minuten enorm begrenzt. - Führung durch Ziele (und Systeme): Das ist der Klassiker in Folge der Arbeiten von Peter Drucker. Gib einem Mitarbeiter ein Ziel (und ggf. ein System, mit dem er das Ziel erreichen kann) und lass ihn selbst machen. Zum Beispiel das Jahresziel eines Verkäufers, 2 Mio. Umsatz zu machen. Wie und wann er das macht, ist – abgesehen von ein paar Rahmenbedingungen und Systemen – egal. Das ist die erste Führungsart, bei der man zumindest auch ein paar Prozent des Hirns des Mitarbeiters einkauft. Unter der Voraussetzung, dass er das Ziel zu seinem eigenen macht, bekommt man wirklich eigenständige Lösungen. Zum Teil sogar für Probleme, die man gar nicht zu sehen bekommt.
Aber auch dieser Ansatz hat seine Grenzen: Was, wenn sich die äußeren Rahmenbedingungen ändern und die Ziele deshalb leichter oder schwerer oder gar nicht zu erreichen wären? Im ersteren Fall sorgt das für Ergebnisse, die unter den Möglichkeiten bleiben, im zweiteren Fall für Frust beim Mitarbeiter. Aus diesem Grund gibt es die Optimierung durch das Beyond Budgeting, die Ziele flexibler zu handhaben. Aber selbst das wird in der heutigen Zeit vielen Anforderungen nicht mehr gerecht: Oft ist mittlerweile in Projekten die Zieldefinition selbst einer der aufwändigsten Teile, so dass ein Führender den Mitarbeitern in vielen Fällen zu Beginn der Arbeit gar keine klaren Ziele vorgeben kann. Einfach, weil das Ziel erst im Verlauf definiert werden kann. - Führung durch Sinn: Letztlich wollen wir durch Ziele alle nur eines: Wir nehmen an, dass wir uns mit der Erreichung der Ziele anders fühlen. Und Gefühle motivieren uns wirklich. Das wusste schon Antoine de Saint-Exupéry, als er den Satz schrieb, der seit 10 Jahren auf meinem Schreibtisch steht: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“
Sehnsucht ist etwas anderes als ein Ziel! Es ist das Motiv hinter dem Ziel, ein Schiff zu bauen. Diese Sehnsucht gibt dem Ziel, ein Schiff zu bauen, letztendlich Bedeutung und Sinn. Entscheidend ist, dass diese Sehnsucht auf unterschiedliche Arten befriedigt werden kann: Das Schiff kann groß oder klein sein, eine Yacht oder ein Transportschiff, wind- oder dieselgetrieben. Ein Mitarbeiter, der von dieser Sehnsucht getrieben ist, der einen Sinn sieht, setzt sich seine Ziele selbst und verfolgt sie selbst. Ein Mitarbeiter, der in seinem Tun einen Sinn sieht, muss nicht mehr motiviert werden.
Wie ergibt sich Sinn?
Ausführlich schrieb ich zum Thema Sinn in Unternehmen bereits vor über 3 Jahren. Nochmals die Eckpunkte in Kürze:
- Sinn ergibt sich nie durch die Sache, sondern er wird von uns gegeben. Er beginnt, so gesehen von innen.
- Sinn ist immer durch unseren Bezug zur Welt bestimmt. Dabei geht es nicht um das, was wir von der Welt erwarten, sondern das, was die Welt von uns erwartet. (analog zur berühmten Kennedy-Rede: „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern was du für dein Land tun kannst.“)
- Sinn ergibt sich durch den Beitrag zum größeren Ganzen. Damit ist Sinn zwingend immer subjektiv, da er von der eigenen Weltsicht und dem, was man für das größere Ganze hält, abhängt. Wir konstruieren unser Weltbild selbst.
- Das Sinngefühl ergibt sich nicht durch die Handlung, sondern durch die Absicht hinter der Handlung.
- Sinn geht zwingend mit dem Konzept der Selbstverantwortung einher. Wenn ich nicht glaube, etwas bewirken zu können, dann kann ich in dem, was ich tue, auch keinen Sinn empfinden.
- Sinnorientierung ist immer optimistisch: Es soll ja zu einer Verbesserung des großen Ganzen beitragen.
Was heißt das für die Führung?
Erstens kann niemand seinen Mitarbeitern Sinn geben: Jeder gibt den Dingen selbst seinen Sinn. Aber es können Sinnangebote gemacht werden. Und Sinnangebote sind immer auch Weltsicht-Angebote, da bestimmte Handlungen oder Ziele eben nur in einer bestimmten Weltsicht Sinn machen.
Natürlich gibt es Sinnangebote, die von einer großen Mehrheit schnell angenommen werden – einfach weil sie schon mit unserer Kultur konform sind. So dürfte die ärztliche Hilfe den meisten Menschen sehr sinnvoll erscheinen. Aber mit einer entsprechenden Weltsicht kann die gleiche Tätigkeit auch manchen Menschen als kontraproduktiv erscheinen (Beispiel: Auf der Welt sind schon jetzt viel mehr Menschen als die Erde ernähren kann. In letzter Konsequenz könnte bei dieser Sicht die Verweigerung der ärztlichen Hilfe als sinnvoll erscheinen, da dies zu einem natürlichen Gleichgewicht zurückführt. Diesen Ansatz werden sicherlich die meisten – inclusive mir – ablehnen, aber es gibt sicher mehr als nur einen Menschen auf der Erde, der genau so denkt und damit die ärztliche Hilfe nicht als sinnvoll empfindet (zumindest, solange er selbst sie nicht braucht *g*)).
Zudem kann es für jede Handlung mehrere Sinnhintergründe geben. Die medizinische Hilfe kann z.B. aus religiösen Gründen ihren Sinn bekommen oder aus ganz praktisch, alltäglich, mitmenschlichen Gründen. Je nach Sinnhintergrund kann die Zusammenarbeit von Menschen, die diesen Sinn für sich annehmen mehr oder weniger tief gehen. Aber er führt irgendwann auch zu Konflikten (z.B. können im Beispiel bestimmte Forschungen (Stammzellen) aus religiösen Gründen abgelehnt werden, was aus einem alltagspraktischen Motiv heraus eher problemlos erscheint).
Der Idealfall für die reibungslose und begeisterte Zusammenarbeit ist deshalb sicher, wenn nicht nur dieselben Handlungen und Ziele als sinnvoll empfunden werden, sondern wenn dahinter auch weitgehend ähnliche Weltsichten stehen. Allerdings würde ich dies nur bei kleinen Organisationen so weit treiben. Große neigen mit diesem Ansatz zur Erstarrung.
Das heißt konkret: Für ein sinnorientiertes Unternehmen muss der Unternehmer eine bestimmte Weltsicht definieren, die dem Unternehmensziel Sinn verleiht. Dann muss er die Mitarbeiter finden, deren Weltsicht weitestgehend konform geht oder suboptimal, wenigstens so ist, dass der Mitarbeiter mit seiner Weltsicht das Unternehmensziel als sinnvoll empfinden kann.
Drei Dinge, die zu beachten sind
Damit dann eine sinnorientierte Führung funktioniert, sind drei Dinge zu beachten.
Erstens ist sinnorientierte Führung nicht besonders weich, wie manche vielleicht meinen mögen. Im Gegenteil: Alles was den Sinn nicht befördert, muss noch viel konsequenter ausgesondert werden als selbst bei der Führung mit Zwang: Dort reicht es, die Peitsche stärker zu schwingen. Auch geht es nicht darum, mit einer sinnorientierten Führung nicht erreichte Ziele schönzureden, sondern eine Leistung ist erst dann gut, wenn der entsprechende Mitarbeiter wirklich alles gemäß seinem Potenzial gegeben hat, erst recht dann, wenn die Ziele viel zu niedrig waren.
Zweitens muss der Sinn (also der langfristige Beitrag des Unternehmens zu einer besseren Welt) immer über die anderen Ziele gestellt werden. Das gilt natürlich für die Mitarbeiter (eine Erhöhung der langfristigen Kompetenz, den Beitrag zu leisten, ist somit als höher einzustufen als die kurzfristige Erreichung eines Umsatzziels. Aber natürlich sind Gewinne auch besser als keine Gewinne, da nur erstere das langfristige Potenzial erhöhen). Sobald man als Unternehmer also kurzfristige Ziele über den Sinnbeitrag stellt, untergräbt man die sinnorientierte Führung. Umgekehrt stärkt man sie, wenn man Ziele immer in Bezug auf den Sinn kommuniziert.
Wie man das macht? Nun, das beginnt wie das meiste bei einem selbst, bei der Eigenführung. Wie planst du z.B. deinen Monat? Stehen in deiner Monatsplanung ToDo’s, also Aufgaben drin? Führst du dich also selbst über Aufgaben? Dann wird es schwer, deine Mitarbeiter nach einer sinnorientierten Methode zu führen!
Stehen in deiner Monatsplanung Ziele drin? X Neukunden? Y Euro Gewinn? Die neue Website am Start? Führst du dich also selbst zielorientiert? Nun, auch dann wird es schwierig werden, deine Mitarbeiter sinnorientiert zu führen?
Beginnt deine Monatsplanung aber vielleicht mit dem, was du in der Welt verändern möchtest? Deinem Motiv dahinter? Und fragst du dich von dort aus jeden Monat, aber auch jede Woche und jeden Tag, was von diesem Sinn ausgehend jetzt und heute oder jetzt und für diesen Monat das optimale Ziel ist? Und ist demzufolge jedes Ziel in deiner Planung sichtbar mit einem emotionalen Zweck, einem Motiv versehen? Einem Motiv, das du zum Zeitpunkt der Planung nicht nur hinschreibst, sondern fühlst? Dann stehen die Chancen ziemlich gut, dass du dieses Feuer auch an deine Mitarbeiter weitergeben kannst. „Was du in anderen entzünden willst, muss in dir selbst brennen.“ Wie du mit dir selbst bei deiner eigenen Planung umgehst, bestimmt, wie du mit deinen Mitarbeitern umgehst und sie führst.
Drittens muss dieser Sinn (und die zugrundeliegende Weltsicht) so verbreitet werden, dass er emotionale Wirkung entfaltet. Neben (vorbildhaften) Handlungen (vgl. auch Unternehmer als Vorbilder) gibt es hier nur eine gute Möglichkeit: Geschichten oder Storytelling. Wer Sinn vermitteln will, muss in der Lage sein, gute, emotionale Geschichten zu erzählen.
Geschichten sind in gewisser Weise Flugsimulatoren fürs Gehirn und erlauben dem Gegenüber, probeweise in deine Welt einzutauchen. Es gibt einen guten Grund, warum die besten Unternehmer zugleich auch immer die besten Storyteller sind. Lies einmal die Bücher von Unternehmern wie Howard Schultz von Starbucks oder vielen anderen genau unter diesem Aspekt. Sie erzählen eine Vielzahl von emotionalen Geschichten und mit diesen Geschichten vermitteln sie eine Sicht auf die Welt und damit einen Sinn.
Sinnorientierte Führung bietet somit letztlich einen anderen Blick auf die Welt. Und genau dieser Blick auf die Welt ist der Schlüssel für gutes Unternehmertum.
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